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Die Kraft der Vierten Gewalt – Investigativer Journalismus in meinem Land

von Daniel Drepper, Deutschland

Investigativer Journalismus – für mich war das früher stets ein fernes, großes, unwirkliches Ziel. Etwas, das mit Talent zu tun hatte, mit Glück, unerreichbar für einen normalen Journalisten. Hans Leyendecker, Markus Grill oder Jens Weinreich veröffentlichten Recherchen, bei denen ich mir nicht vorstellen konnte, wie ein Normaljournalist wie ich jemals an solche Quellen und Informanten herankommen sollte. Umso mehr bewunderte ich ihre Leistungen. Heute, ein paar Jahre später und gegen Ende meines Journalistik-Studiums, habe ich viel zum Thema erfahren. Und ich habe gelernt, dass investigativer Journalismus neben Leidenschaft und Glück auch sehr viel Fleiß und harte Arbeit erfordert. Dass er ein Handwerk ist, das zu großen Teilen erlernt werden kann. Und dass er gute Arbeitsbedingungen benötigt, um sich weiter zu verbreiten. All dies hat meine Bewunderung für investigative Recherchen nicht beeinträchtigt und meine Entscheidung, später so weit möglich im Bereich der investigativen Recherche zu arbeiten, ist gestärkt worden. Auch, weil ich die investigative Arbeit in Deutschland für vernachlässigt und bedroht halte. Und weil ich gleichzeitig glaube, dass die neuen Kommunikations- und Öffentlichkeitsstrukturen mit Smartphones, iPad und Web 2.0 der Recherche und der Rolle des Journalismus als Vierter Gewalt ganze neue Möglichkeiten geben. Ein Überblick zum investigativen Journalismus in Deutschland:

Verbreitung und Selbstverständnis
Wie viele Journalisten in Deutschland investigativ arbeiten? Etwa 50 sollen es laut Ingmar Cario und seinem Buch „Die Deutschland-Ermittler“ sein. Die geringe Zahl kommt daher, dass investigative Journalisten nach wissenschaftlicher Definition nicht einfach nur härter arbeitende, tiefer recherchierende Journalisten sind, sondern sich auch durch ihre Arbeitstechniken von anderen Journalisten abgrenzen. Lars-Marten Nagel spricht in seinem Buch „Bedingt ermittlungsbereit: Investigativer Journalismus in Deutschland und den USA“ davon, dass ein Vergleich investigativer Reporter mit dem Beruf des Detektivs relativ zutreffend sei. So verwenden investigative Journalisten Recherchemethoden wie verdeckte Kameras und Mikrofone, sie verstecken ihre wahre Identität, treffen sich im Geheimen mit Informanten und werten große Datenmengen aus, um Skandale aufzudecken. Diese Recherche-Techniken setzen investigative Kollegen deshalb ein, weil es – häufig mächtige – Personen gibt, welche die Veröffentlichung ihrer Informationen verhindern wollen. Einfach auf den Punkt bringt es David Schraven, Vorstandsmitglied des Netzwerk Recherche und Leiter des Rechercheressorts bei der WAZ: „Journalismus ist, wenn man etwas druckt, was ein anderer lieber nicht gedruckt sehen will.“

Die Zahl deutscher Journalisten, die investigativ arbeiten, ist vor allem im Vergleich zu angelsächsischen Kollegen ziemlich gering. Die Wachhund-Journalisten, die Staubaufwirbler und unbequemen Wadenbeißer sind in Amerika hoch angesehen. In Deutschland jedoch gibt es außer einigen Journalisten der politischen Magazine des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie Frontal21 oder Monitor, des Spiegels oder der Süddeutschen Zeitung kaum investigative Reporter. Die aufwändige Arbeit ist hierzulande weniger beliebt als in den USA oder England und wird kaum belohnt. Das hat auch Ingmar Cario herausgefunden. Er glaubt, dass dies an der jungen politischen Kultur in Deutschland liegt. Meinungsjournalisten hätten ein deutlich höheres Ansehen als Rechercheure. Cario kritisiert auch die rechtliche und ökonomische Situation des investigativen Journalismus in Deutschland. Und klagt über Defizite in der Ausbildung junger Journalisten.

Rechtliche Situation
Investigativer Journalismus wird in Deutschland offiziell nicht eingeschränkt. So gibt es keine staatliche Zensur. Dennoch sind die Bedingungen für harte Recherchen alles andere als paradiesisch. Lange Jahre konnten Behörden zum Beispiel die Herausgabe von Unterlagen verweigern. Bis das Informationsfreiheitsgesetz IFG verabschiedet wurde, waren Informationen der Behörden grundsätzlich erst einmal nicht zugänglich. Seit 2006 ist es andersherum: Der Zugang soll theoretisch immer offen sein und nur in begründeten Fällen zurückgewiesen werden. In der Praxis sieht das jedoch meist anders aus. So wurden im Jahr 2008 laut einer kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen von 1548 IFG-Anträgen nur 618 vollständig zugelassen. Außerdem dauern die Verfahren oft sehr lange und die erhobenen Gebühren sind nicht unerheblich. Wer gegen die Ablehnung klagt, auf den kommen zudem Prozesskosten zu. Deshalb wird das IFG von Journalisten oft nur in Anspruch genommen, wenn der Zugang zu Originalunterlagen dringend nötig ist und die Veröffentlichung Zeit hat. Für kurzfristigere Anfragen, die zur Not ohne Originaldokumente auskommen, eignet sich auch der Verweis auf die jeweiligen Landespressegesetze – obwohl Behörden auch diesen Weg gerne blockieren.

Immer wieder kommt es in Deutschland zu Versuchen, die Pressefreiheit einzuschränken oder auszuhöhlen. So werden Journalisten zum Beispiel aufgrund einer EU-Richtlinie bislang nicht von der Vorratsdatenspeicherung befreit, was die geheime Kontaktaufnahme zu Informanten erschwert. Ein berühmtes Beispiel staatlichen Eingriffs in die deutsche Pressefreiheit ist die Durchsuchung der Redaktion des Cicero durch die Potsdamer Staatsanwaltschaft. Das Magazin hatte über den Vertrauten Osama Bin Landens, Abu Mussab Al Sarkawi, berichtet und dabei aus Geheimdienstpapieren zitiert. Der Vorwurf: Geheimnisverrat. Im Nachhinein verurteilte das Bundesverfassungsgericht die Durchsuchung jedoch als verfassungswidrig und stärkte damit die Pressefreiheit. Für Aufsehen hat zuletzt auch die Bespitzelungsaffäre der Telekom gesorgt, die Journalisten ausspähen ließ, um Informanten aus den eigenen Reihen zu entlarven.

Die Macht des Geldes
Diese Beispiele zeigen, dass investigative Recherchen in Deutschland trotz offiziellen Zensurverbots und recht weitreichender Presse- und Meinungsfreiheit längst nicht immer erwünscht sind. Zudem werden sie häufig behindert und zum Teil auch unterdrückt, was auch an ökonomischen Machtverhältnissen und Abhängigkeiten liegt. Aufgrund der nicht mehr besonders rosigen finanziellen Verhältnisse einiger Verlage und Medienhäuser wird bei Veröffentlichungen immer häufiger Rücksicht auf Anzeigenkunden genommen. Besonders die Discounter Aldi und Lidl bestrafen hin und wieder recherchierte Veröffentlichungen mit Anzeigenentzug. Der Schaden geht für die betroffenen Verlage schnell in die Millionen. Bei den Badischen Neuesten Nachrichten wurde zwischenzeitlich sogar eine Redakteurin entlassen, weil sie kritisch über Lidl geschrieben hatte. Erst nach bundesweiter Berichterstattung über den Fall wurde die Redakteurin wieder eingestellt.

Daniel Drepper, 24, ist Student der Journalistik und Sportwissenschaften. Nebenbei betätigt er sich als freier Autor vor allem im Bereich des hintergründigen Sportjournalismus‘. Seine Arbeiten sind unter anderem bei Zeit-Online, ZDFonline, Spiegel-Online, Deutschlandfunk, FAZ, Frankfurter Rundschau und Welt am Sonntag veröffentlicht worden. Auf twitter kann man Ihm unter http://twitter.com/danieldrepper folgen

 
 
 
 
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