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Eröffnung
Die Konferenz wurde durch einen Willkommensgruß von Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) eröffnet. Es sei nicht nur der Ort, der diese Konferenz so bedeutend mache, so Platzeck. Sondern die Zusammensetzung der Teilnehmer, die wirklich ganz außergewöhnlich und sehr hochkarätig sei. Noch bedeutender aber sei das Thema und seine Relevanz für unsere Zeit, nämlich die Pressefreiheit. Denn, so Platzeck: ”Pressefreiheit ist die Zwillingsschwester der Meinungsfreiheit.” Er selber habe 35 Jahre seines Lebens erlebt, was aus einer Gesellschaft wird, in der Presse- und Meinungsfreiheit Fremdwörter waren. In der DDR sei die Presse im letzten Jahrzehnt in einem Zustand gewesen, der es gar nicht mehr nötig machte, Zensur auszuüben: die Schere im Kopf, die Selbstzensur sei längst Usus gewesen. Eine Gesellschaft, in der es keine Meinungsvielfalt gibt, keine Pressefreiheit, so Platzeck, verliere deutlich spürbar ihre Kreativität. Damit verliere sie auch ihre Kraft, und das sei im Osten Deutschlands deutlich spürbar gewesen. Doch Platzeck übte auch Kritik: Es gäbe das immer wiederkehrende Thema der Wirkung von Boulevard-Zeitungen auf die Kultur des menschlichen Umgangs, sagte er und zitierte aus einem Interview mit dem Philosophie-Professor Peter Bieri, das 2007 in der Zeitschrift ”Cicero” erschienen war. Er hatte die großen Boulevard-Zeitungen als „ein Verbrechen” bezeichnet, „die die Leute bombardieren, die die Leute überschwemmen, die gegen die Sensibilität, Reflektiertheit, Selbstbestimmung und Selbsterkenntnis anarbeiten. Diese Zeitungen zerstören einfach unsere Kultur.” Platzeck endete, man müsse nicht in jedem Punkt mit Professor Bieri einer Meinung sein, die Aspekte gehörten aber ebenfalls zu einer Diskussion über Presse- und Meinungsfreiheit.

Die Eröffnungsrede, die die Teilnehmer in das Thema einführte, hielt die amerikanische Nachrichtenlegende Paul Steiger. Nach 16 Jahren als Chefredakteur der amerikanischen Tageszeitung „Wall Street Journal“ und 16 Pulitzer-Preisen gründetet er 2007 die durch Stiftungen finanzierte Nachrichtenplattform „ProPublica“, die vor allem den investigativen Journalismus fördern will. 2010 wurde ProPublica als erste reine Online-Publikation mit dem Pulitzer-Preis für investigativen Journalismus ausgezeichnet.

In seiner Rede mit dem Titel „The transatlantic Perspective – Freedom oft he Press in Europe” erinnerte Steiger daran, dass in den letzten 18 Jahren 827 Journalisten während der Ausübung ihrer Arbeit getötet wurden, 71 allein im letzten Jahr. Mehr als 70 Prozent von ihnen wurden gezielt ermordet und starben nicht zum Beispiel in einem Kreuzfeuer. In den USA müsse man sich glücklicherweise nicht mit solchen Albträumen herumschlagen. Hier würden – ähnlich wie in Europa – das Internet, die Zerschlagung alter Geschäftsmodelle und die zunehmende Konzentration der traditionellen Medien die Pressefreiheit bedrohen. Die Digitalisierung berge viele Gefahren, aber auch viele neue Möglichkeiten. Gefahren, weil die Digitalisierung und das Streben nach Profit die Anzahl der Jobs für talentierte und gut ausgebildete Journalisten reduziere. Neue Möglichkeiten, weil im Internet alle, die über etwas berichten wollen, ihre Sicht und ihre Beobachtungen veröffentlichen können.
Dadurch seien die Medien in Europa, Nordamerika usw. vielleicht freier und kreativer als jemals zuvor, so Steiger. Aber auch – wenn nicht einige wichtige Schritte unternommen werden – viel weniger vertrauenswürdig. Steiger listete die sechs größten Bedrohungen und Veränderungen für die traditionellen Medien in der neuen digitalen Welt auf, denen auch die Politik Beachtung schenken solle. So zerstöre die Ausbreitung des Internets die Rolle der führenden Tageszeitungen, Radio- und TV-Stationen als dominierendes und umfassendes „Warenhaus für News und Informationen”. Sie haben noch immer ihre loyalen Unterstützer und verdienen jedes Jahr mehrere Milliarden Dollar oder Euros, ihr Status habe sich jedoch von einem ”Must-have” zu einem ”Nice-to-have” verschlechtert. In den meisten Aspekten seien die neuen News-Dienstleister besser als die alten, weil die Menschen bei niedrigen Kosten leichter Zugang zu Informationen haben und auch noch ihre eigene Meinung verbreiten können. Die Gefahren der Beeinflussung der Öffentlichkeit durch bestimmte Gruppen und Unternehmen seien jedoch ebenso groß und führe nicht selten zu Machtmissbrauch.

Panel I:
Politik und Macht: Die Freiheit der Presse in Europa

Das erste Panel beschäftigte sich mit dem Thema: „Politik und Macht: Die Freiheit der Presse in Europa”. Auf dem Podium saßen Mikhail Fishman, Chefredakteur des russischen Magazins „Russki Newsweek“ (im Oktober 2010 eingestellt), Paolo Mastrolilli, Leiter der Hauptstadtredaktion in Rom der italienischen Tageszeitung „La Stampa“, Agnieszka Romaszewska-Guzy, Chefredakteurin des in Polen ansässigen TV-Senders „Belsat TV“, der für Zuschauer in Weissrussland sendet, um ihnen eine Alternative zum weißrussischen Staatsfernsehen zu bieten, Anita Rozentale, Chefredakteurin der lettischen Regionalzeitung „Bauskas Dzive“ und Unterzeichnerin der Europäischen Charta für Pressefreiheit, Ljiljana Smajlovic, Präsidentin der Serbischen Journalistenvereinigung, „Stern“-Redakteur und Brüsselkenner Hans-Martin Tillack sowie Boyko Vassilev, Chefredakteur des bulgarischen Nationalfernsehens „BNT“. Moderiert wurde die Runde von Astrid Frohloff, ARD-Moderatorin („Kontraste“) und geschäftsführendes Vorstandsmitglied bei „Reporter ohne Grenzen“.

In ihrer Keynote, die das Panel einleitete, wies Agnieszka Romaszewska-Guzy darauf hin, dass erst wenige Tage zuvor in Minsk ein regierungskritischer Journalist tot aufgefunden worden war. Offiziell hieß es, der 36-jährige Familienvater habe Selbstmord begangen, ”wir glauben das aber nicht”, so Romaszewska. Am Ende ihrer Keynote mahnte sie: “Wir dürfen nicht vergessen, dass es auch heutzutage Länder in Europa gibt, in denen für Pressefreiheit gekämpft werden muss. Lassen wir uns nicht vergessen, dass Westeuropa in einer sehr privilegierten Position steckt. Und vergessen wir all die Journalisten auf diesem Kontinent nicht, die noch immer mit Einschüchterung und Unterdrückung zu kämpfen haben, und versuchen wir, sie so gut wie möglich zu unterstützen!”

Mikhail Fishman berichtete, dass in Russland regelmäßig Redaktionsbüros von Regierungsbeamten „überfallen“ würden, um Quellen ausfindig zu machen und er sich regelmäßig vor ihnen für seine Arbeit rechtfertigen müsse.

Paolo Mastrolilli erklärte, er wäre glücklich sagen zu können, dass in Italien das Kernproblem der Pressefreiheit allein Berlusconi sei, dann könne man sagen, irgendwann ist er nicht mehr da und man kann das Problem lösen. Das Problem sei jedoch viel tiefer verwurzelt. Im Moment stünden sechs Journalisten unter polizeilichem Schutz, weil ihr Leben durch organisierte Verbrecherbanden bedroht sei, das sei jedoch nicht die Hauptbedrohung der Pressefreiheit. Die größten Bedrohungen seien die anhaltenden Probleme innerhalb der Medien, inklusive die Eigentumsrechte und ihre Beschränkungen. In Italien werden die Verlage von den an ihnen beteiligten Unternehmern beherrscht, die ihre Beteiligungen zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen ge- und missbrauchen. Hier sei das größte Problem, dass unter diesen Umständen nur wenige unabhängige Medien überleben.

Boyko Vassilev sagte, dass die bulgarischen Journalisten gelernt haben, mit dem durch die Regierung ausgeübten Druck umzugehen. Vor 15 Jahren sei das noch viel schlimmer gewesen. In Bulgarien sei die Pressefreiheit von vielen Seiten bedroht; so sei das Ziel der dortigen Medien weder Profit noch Informationen, sondern diene oftmals als verlängerter Arm persönlicher Interessen. Die Bedrohung der Pressefreiheit in Osteuropa, so Vassilev, ginge vorwiegend von ökonomischen Bedingungen aus. Aber er bezog auch die Zuhörer in die Verantwortung ein, als er sagte: „Wir werden nicht durch eine Diktatur bedroht, sondern durch Gleichgültigkeit.“ Hinzu komme das Problem, dass die Bevölkerung in Ost- und Zentraleuropa den Wert öffentlich-rechtlicher Medien nicht erkenne und sich weigere, es zu unterstützen.“Diese Chance wurde vor 20 Jahren vergeben, als die öffentlich-rechtlichen Medien es versäumt haben, die Bevölkerung von ihrer Vertrauenswürdigkeit zu überzeugen. Der Niedergang der öffentlich-rechtlichen Medien ist immanent, und das ist schlecht für uns alle.“

Ähnlich wie es Agnieszka Romaszewska-Guzy in ihrer Keynote ansprach, geht die Bedrohung der Pressefreiheit in den osteuropäischen Staaten heutzutage hauptsächlich von wirtschaftlichen Zwängen aus. Vor allem der Druck von Werbepartnern auf dem relativ kleinen bulgarischen Markt mache kritischen Journalismus schwer möglich. Doch machte er auch die Zuschauer für einen Qualitätsverlust mitverantwortlich: ”Die Bevölkerung sieht den Wert der öffentlichen Medien nicht mehr. Heutzutage sind wir nicht durch eine Diktatur bedroht, sondern durch Gleichgültigkeit.”

Anita Rozentale berichtete, dass die größte Bedrohung der Pressefreiheit in Lettland von der mangelnden Transparenz bezüglich der Eigentumsverhältnisse von Zeitungen ausgehe. Seit die letzte freie national erscheinende Zeitung „Diena“ vergangenes Jahr von der schwedischen Bonnier-Gruppe verkauft wurde, sei der neue Eigentümer noch nicht bekannt geworden.

In Serbien ist die Situation weniger komplex als in anderen osteuropäischen Staaten, hier geht die Bedrohung offen von der Regierung aus. So kritisierte Liljana Smjajlovic die Einführung eines drakonischen Mediengesetzes, gegen das es seitens westeuropäischer Staaten und der EU kein Einlenken gäbe: “Sie geben sich einfach damit zufrieden, dass die Regierung die pro-westlichste ist, die Serbien je hatte. Wie kann man da von europäischer Integration sprechen, wenn niemand bereit ist, in einer solchen Situation einzuschreiten?”

Doch selbst in der Europäischen Union ist die Situation alles andere als ideal, wie Hans-Martin Tillack berichtete. Unter vielen Journalisten, die aus Brüssel berichte, herrsche die Befürchtung, dass sie die EU unterstützen müssten. Dabei seien Journalisten meistens die natürlichen Feinde der Politiker, die versuchen, Informationen zu kontrollieren und Berichterstattung zu beeinflussen. Deshalb sei es sehr wichtig, dass sich Journalisten füreinander stark machen und das Recht eines jeden verteidigen. Auch Anti-Terror-Gesetze würde die journalistische Arbeit erschweren, da sie Quellen verschrecken würden.

Die Teilnehmer kamen zu dem überraschenden Ergebnis, dass von organisierter Kriminalität nur eine sehr marginale Bedrohung für Journalisten ausgehe. In Italien sei die Situation hauptsächlich regional begrenzt, so Paolo Mastrolilli. Und auch in Osteuropa ist der Einfluss der Mafia wesentlich komplexer und eher mit der Politik und anderen Interessengruppen verwoben, als eine eigenständige, direkte Bedrohung darzustellen.

Wie Agnieszka Romaszewska-Guzy in ihrer Keynote forderte auch Hans-Martin Tillack Journalisten zu mehr Zusammenarbeit auf. Boyko Vassilev beendete die Diskussion, indem er daran erinnerte: „Es liegt an uns Journalisten, etwas zu verändern und vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien zu stärken; denn wenn WIR nicht daran glauben, wird es der Rest der Bevölkerung auch nicht tun“.


 
   
 
  Eröffnung und Panel I

Panel II

Panel III