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Eigentlich fing ja alles ohne Kurt Westergaard an, der heute unser Gast ist und einen Preis erhält. Vor über fünf Jahren plante ein Landmann unseres Preisträgers ein Buch über den Propheten Mohammed. Er ist weder Rassist noch von übler Absicht geleitet, sondern will Kindern nahe bringen, was ihnen in der Nachbarschaft begegnet: fremde Menschen, eine andere Kultur, ein anderer Glaube. Der Autor suchte einen Illustrator für sein Buch und fand keinen. Dies fand der Feullitonchef der bedeutenden Zeitung Jyllands-Posten bemerkenswert. Er wollte es genau wissen: Gibt es im freien Land der freien Dänen etwa Selbstzensur? So fragte er 40 Zeichner des Landes, ob sie eine Mohammed Zeichnung anfertigen würden. Immerhin zwölf der Angefragten reagierten positiv. Die Arbeiten wurden vor genau fünf Jahren veröffentlicht. Und jetzt kommt unser Preisträger in den Blick. Er ist einer von ihnen. Seine Arbeit fällt auf, sie ist verwegen, denn sie kombiniert etwas für viele Menschen Heiliges (und für sie Undarstellbares) mit etwas Bösem – einer Bombe. Der Zeichner ist kein wissenschaftlicher Illustrator, er ist ein Karikaturist. So gehören Zuspitzung, auch Ironie und Sarkasmus zu seinem Handwerkszeug.

Nun geschieht etwas Sonderbares: Ein Bürger geht seiner Arbeit nach, die er seit Jahren und Jahrzehnten macht. Er ist in gesetztem Alter, kein Revoluzzer, er hat lange als Lehrer gearbeitet und sich dann in reifen Alter für eine künstlerische Tätigkeit entschieden. So kommt er zu Jyllands-Posten und zeichnet manchmal täglich für sein Blatt. Bei dieser Arbeit treibt ihn weder Hass noch Fremdenfeindlichkeit. Er mag aber nicht übersehen, dass von Extremisten mit dem islamischen Glauben Schindluder getrieben wird. Die Terroristen, denen sein Zorn gilt, „benutzen ein Teil des Islam als spirituelle Munition“, so sagt Kurt Westergaard.
Nun geht alles den bekannten Gang. Die Zeichnung kommt, gehässig interpretiert, mit anderen, z.T. gefälschten Arbeiten in weite Teile der muslimischen Welt. Zahlreiche Medien beteiligen sich an einem antidänischen Feldzug. Botschaften brennen, Menschen sterben. Die Fanatiker unter den Islamisten sinnen auf Rache. Angst zieht ein im einst so friedlichen Dänemark. Zunächst stehen Regierungen und die Zeitung wacker und bedingungslos für die Pressefreiheit ein, später, als die Gefahr immer größer wird, als Mordanschläge auf unseren Künstler geplant und ausgeführt werden, schwindet der Mut, die Bedenkenträger mehren sich und eine alte Frage kommt im alten Gewand: was ist wichtiger – Pressefreiheit oder Sicherheit?
Bald wird sich der Bürger und Künstler Kurt Westergaard fragen, wo die Solidarität der dänischen Intellektuellen sei. Weder der heimatliche PEN noch der dänische Künstlerverband hätten eindeutig für ihn Stellung bezogen. "Die intellektuelle Klasse" würde "Kaffee trinken und ihren Kulturrelativismus pflegen" - so äußert er sich im Spiegel. Er darf so sprechen. Er hat seinen Mörder gesehen, im eigenen Haus, er hat den Hass gesehen, die Axt, das Messer. Gut, er hat überlebt. Aber das wird er nie vergessen.
Alle Welt würde verstehen, wenn er nach dem Besuch des Mörders die Flucht in die Feigheit angetreten hätte. Feigheit verwirrt viele Menschen weniger als Mut. Die Intellektuellen machen da keine Ausnahme. Wir hatten hier in Berlin z.B. einen bedeutenden Autor, Heiner Müller, der sich eines Tages zu der Sentenz hinreißen ließ, Feigheit sei ein „Menschenrecht“. Der unsägliche Spruch hat hier niemanden wirklich aufgeregt. Dabei ist es so elementar wichtig zu unterscheiden zwischen dem, was uns gültige Werte, Ziele und Richtung gibt und dem, was zwar dem Menschen zu eigen ist (Angst), ihn aber von seinen besten Potenzen (VERANTWORTUNG) trennt.

Die Angst, die Ängste – sie sind es, die mit ihrer fortwährenden Präsenz in den Individuen wie in der Gesamtgesellschaft unsere Fähigkeit, Verantwortung zu tragen, minimieren. Deshalb ist es so wichtig, MUT zu gewinnen, Mut zu trainieren und das Wissen darum, dass wir ohne Mut Sklaven unserer Ängste, also Getriebene werden, zu mehren.
Er ist uralt, der Fluchtimpuls, unsere menschliche Neigung, jeder Gefahr durch Flucht zu entkommen und jeder Übermacht durch Unterwerfung und Anpassung.
Darüber, lieber Kurt Westergaard, können sowohl die Bundeskanzlerin als auch ich lange und intensiv reden. Wir haben in einer Diktatur lebend zudem beständig gelernt, wie „normal“ Angst und Anpassung werden können. Wir haben es hier in Deutschland 1989 und in anderen historischen Situationen erlebt, was mit Menschen geschieht, die ihrer Angst nicht länger erlauben, die Herrschaft auszuüben. Es ist großartig, dass aus Opfern Gestalter werden können, dass angepasste Gestalter und Verantwortungsträger Bürger werden können. Wir müssen uns diese, in uns allen ruhende, Fähigkeit beständig bewusst machen. Wir wollen unsere Werte und Potenzen, unsere Verantwortungsfähigkeit, wir wollen uns nicht verlieren, deshalb bekennen und belohnen wir Haltungen, die uns Zukunft schaffen können.
Sehr geehrter Herr Westergaard, heute sind Sie es, der uns ermutigt zu eigenem Mut, für MUT zeichnet die Jury heute aus. Aber es ist wie immer, wenn Preise vergeben werden: Wir loben und preisen das, wovon wir zu wenig haben. So verbinden sich mit der Freude über ihren Besuch bei uns verschiedene, miteinander verbundene Elemente: Anerkennung für Sie als Person, für ihren Mut, Ihrer Liebe zu Freiheit, die sich ausdrückt in Ihrem Einsatz für Meinungs- und  Medienfreiheit. So danken wir Ihnen und gratulieren wir Ihnen von Herzen.
Gleichzeitig ist diese heutige Auszeichnung ein Appell an alle, die Verantwortung tragen in Regierungen, in der Kultur, in den Medien: standhaft, wertorientiert und ebenso MUTIG zu sein, wenn verantwortungslose Menschen und Mächte unsere freiheitlichen Werte untergraben oder relativieren. Es ist eine Tugend, einem überzeugenden Argument zu weichen, aber es ist Feigheit, einer Bedrohung von Feinden der Freiheit zu weichen. (Mag diese Feigheit auch in der Verkleidung als ratio daherkommen.) Übrigens müssen Bedrohungen nicht nur von Fanatikern und Diktatoren ausgehen – in unseren modernen Gesellschaften können Zeitgeist, Lethargie, Egomanie oder vulgärer Hedonismus ebenso zu Bedrohungen unserer Werte werden. Und zuletzt erwarten wir von uns selbst, von uns den Bürgern, dass ein solcher Preis unser eigenes Vermögen, mutig und verantwortungsbereit zu sein, stärkt.
Wir wissen doch eigentlich, dass wir mehr können, als ängstlich zu sein.
Und zu allerletzt eine Frage an die Medienverantwortlichen, die ja in der Regel die Dinge früher erkennen, als die Bürger, und besser wissen, als die Regierenden. Könnte es sein, dass einige von Ihnen mit dieser Auszeichnung auch einen Appell an sich selbst, die eigene Zukunft richten? Oder haben alle Medien in der causa Karikaturen/Westergaard den ausreichenden Mut bewiesen. Klar – die Frage ist rhetorisch, aber sie gehört doch einfach hierher. Ist die Frage auch polemisch? Eher nicht. Denn der, der sie stellt, fragt sich so wie jeder von uns einfach einmal fragen sollte, ob sein Mut ausreicht, zum Wert der Freiheit wirklich JA zu sagen. Ihnen, lieber Kurt Westergaard, danken wir für Ihr JA zu unseren europäischen Werten. Sie ermutigen uns, das Unsrige neu zu sprechen, wo immer es erforderlich ist.


   
 
 
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