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GREAT POWER REALPOLITIK:
VOM KOSOVO 1999 BIS GEORGIEN 2008

Zunächst meine persönliche Geschichte, wie Amerikaner vielleicht sagen
würden - oder, wie ich es sage: meine Leidenschaften und Vorurteile. Meine ersten lebendigen politischen Erinnerungen habe ich als Elfjähriger an die Berliner Luftbrücke. Dementsprechend überspannt mein politisches Leben den Kalten Krieg. In der britischen Politik der gemäßigten Linken war ich ein "Kalter Krieg Veteran". Nichtsdestotrotz: als die Berliner Mauer fiel, versuchte ich eine "neue Welt" im Balkan aufzubauen, und ich glaube, dass ich deshalb oder vielleicht sogar trotz dieses Erlebnisses neue Strukturen in der Welt als erreichbar ansehe und wir nicht dazu verdammt sind, zu einem Kalten Krieg zurückzukehren
.

Die momentane Krise in Südossetien hat praktisch keine Parallelen mit dem Kalten Krieg. Um die heutige Situation zu verstehen, müssen wir unsere Sicht auf die letzten zehn Jahre schärfen; nicht um Schurken zu identifizieren, aber um die Zusammenhänge von politischen Entscheidungen miteinander zu verbinden. Die meisten Handlungen waren zu dem Zeitpunkt verständlich, aber sie haben zusammen genommen einen gefährlichen Graben von Verständnislosigkeit zwischen Washington und Moskau geschaffen. Von der Invasion des Kosovos (1999) hin zur Invasion Georgiens (2008) haben eine Reihe von Missverständnissen und die Weigerung, die gegenseitigen nationalen Interessen zu respektieren, zu einer politischen Teilung geführt, die zudem noch durch die polarisierenden Meinungen in nationalen Medien über die Wahrheiten des Kalten Kriegs und die Schwierigkeiten seines Erbes weiter ausgeweitet wurde.

Nach dem Fall der Berliner Mauer gab es mehr oder weniger eine Einstimmigkeit in Washington und Moskau, dass alles mögliche unternommen werden musste, um die Abspaltung und die Veränderung von historischen nationalen Grenzen zu verhindern.

Die Russische Föderation und die Auflösung des Sowjetischen Reichs war spektakulär erfolgreich. Eine grundlegende Politik der Clinton-Administration besagte, dass das Stärken der Demokratie in diesen neuen unabhängigen Staaten und die Aufnahme in die EU nicht warten dürfte, sondern es sei notwendig, diesen Staaten schnellstmöglich Zugang zur NATO zu gewähren. Generell war diese Politik, obwohl sie nicht von der Russischen Föderation unterstützt wurde, erfolgreich. Zum Teil, da die russische Empfindlichkeit für die NATO Mitgliedschaft der Ukraine und
Georgien erkannt wurde. Präsident Putins Antwort auf die Angriffe am 11. September 2001 auf die USA waren deshalb staatsmännisch und einfallsreich.
Leider wurde dieses Entgegenkommen mit einer nie da gewesenen Politik des Alleingangs der USA beantwortet. Putins frühere Bereitschaft, über die NATO-Mitgliedschaft nachzudenken und sein Versuch, die Notwendigkeit von US-Stützpunkten in Usbekistan zu verstehen und zu fördern, änderten sich langsam und damit auch seine Politik.

Konfliktzonen
Konfliktzonen waren ein unausweichliches Erbe des Zerfalls der Sowjetunion. Es gibt Lehrstunden über die Art und Weise, wie mit diesen Konflikten umgegangen wurde.

Washington und Moskau nutzten die EU und die UN im August 1992, um Jugoslawien zu teilen. Diese Kombination war immer unzureichend, da Deutschland und Italien noch nicht politisch bereit waren, Truppen unter UN- oder NATO-Mandat nach Jugoslawien zu entsenden. Im Dezember 1992 begann die NATO mit Unterstützung des Generalsekretärs der UN und toleriert von Jeltsin, dem Präsidenten der Russischen Föderation, sich im Balkan einzumischen, eine 'no fly zone' zu etablieren und verschiedene Friedenspläne zu implementieren.

Trotz massiver weltweiter Proteste wurde Tschetschenien als russische Angelegenheit vom UN Sicherheitsrat akzeptiert.

Georgien erbte vier umstrittene Grenzkonfliktregionen, und obwohl Georgien stark von Russland beeinflusst war, hatten die westlichen Demokratien wegen der kaspischen Erdölpipeline ein ernst zunehmendes wirtschaftliches Interesse an der Sicherheit des Landes. Erst nach 2003 wurde die georgische NATO-Mitgliedschaft ein Thema, und Washington fing an, gegen russische Interessen zu steuern.

In Nagorno Karabakh wurde ein instabiler Friede vereinbart. Die Türkei hält nun den Schlüssel zu einer nachhaltigen diplomatischen Lösung in der Hand. Was in Georgien passierte, sollte Anreiz sein, um diesem Umstand eine weitaus höhere diplomatische Bedeutung zukommen zu lassen. Der Besuch des türkischen Premierministers in Armenien ist deshalb eine sehr willkommene Entwicklung.

NATO- / Russland-Beziehungen
Die NATO- / Russland-Beziehungen bergen ebenfalls wichtige Lehrstunden. 1992/93 akzeptierte Russland, ebenso wie die UN, die Rolle der NATO, im Balkan eine 'no fly zone' zu etablieren und bereitete Hilfe für die Implementierung der verschiedenen Friedenspläne vor. Es muss daran erinnert werden, dass im Februar 1994, als die NATO ein Ultimatum an die bosnischen Serben stellte, damit diese ihre schweren Waffen um Sarajevo zurückziehen, nachdem es zu der umstrittenen Bombenexplosion auf dem Markt der Stadt gekommen war, waren es die Russen, die ihre UN-Truppen über Nacht an die bosnisch/serbische Frontlinie im Zentrum Sarajevos verlegten. Das führte dazu, dass General Mladic keine militärische Ausrede hatte, mit den Forderungen der NATO zu kooperieren, als er am nächsten Tag zu einem eiligen Treffen mit den serbischen Generälen in Belgrad kam.

Es muss auch daran erinnert werden, dass im August/September 1995 die Russen in der Kontaktgruppe keine wirklichen Einwände gegen die NATO-Bombardements von bosnischen und serbischen militärischen Stellungen hatten. Die ermöglichten mit britischen und französischen schweren Waffen, die um Sarajevo stationiert waren, den kroatischen und bosnischen Regierungen, genug Territorium zurückzuerobern, damit ein Waffenstillstand erzwungen werden konnte, der den Weg zu den Dayton Vereinbarungen ebnete. Russische Truppen wurden im Dezember gebeten, die NATO zu unterstützen, was sie mit Engagement und Erfolg taten.

Erst, als die Situation im Kosovo 1998 eskalierte, kam es zu wirklichen Differenzen zwischen Russland und der NATO im Balkan. In gewisser Weise waren sie unausweichlich, da Milosevic nicht die Absicht hatte, die Autonomie des Kosovo wieder einzuführen, die er 1998 abgeschafft hatte. Als die Amerikaner ernster wurden, erkannte Russland, dass die NATO wahrscheinlich im Kosovo intervenieren würde. Russland distanzierte sich von der NATO, seit fest stand, dass sich der Kosovo von Serbien abspalten würde.

Die Rambouillet Konferenz (1999) - einberufen, um diplomatische Deckung für die militärische Bedrohung der Friedenslösung zu geben - musste die Kosovo Befreiungs-Armee für die Friedenspläne gewinnen. Die NATO drohte den Serben mit Bombardements, falls die serbischen Truppen sich nicht aus dem Kosovo zurückziehen würden. Präsident Jeltsin, der sich bewusst war, dass er jede mögliche UN-Resolution, die solch ein Vorgehen befürworten würde, per Veto negieren musste, gab bekannt, dass er unter Protest alle NATO-Aktionen tolerieren würde, soweit er diese nicht in der UN autorisieren müsse. Die Russen waren sich jedoch immer sicher, dass Bombardements allein nicht den serbischen Abzug erzwingen konnten. Moskaus Diplomatie wurde während der Bombardements auf Eis gelegt, bis deutlich wurde, dass Präsident Clinton diese diplomatische Hilfe benötigte, wenn er verhindern wollte, US Truppen im Kosovo zu stationieren. Jeltsin zahlte Clinton damit die Jahre freundschaftlicher Unterstützung zurück. Deshalb hatte Milosevic keine Alternative zu den von dem ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahitsaari und dem ehemaligen russischen Premierminister Viktor Chernomyrdin vorgeschlagenen Maßnahmen. Es wurde zwar niemals zugegeben, welche Drohung Russland aussprach, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass Milosevic gesagt wurde, dass jedwede Ablehnung der Vorschläge darin resultieren würde, dass Russland die Gasversorgung für Serbien unterbrechen würde. Diese zusätzliche Not, gepaart mit den NATO-Bombardements von Fabriken und Brücken weit weg vom Kosovo, brach Milosevices Widerstand. Er zog seine Truppen zurück. Milosevices Befehl wurde ihm vom serbischen Militär zutiefst verübelt, das wusste, dass sie nicht besiegt werden konnten und einen Kampf gegen NATO-Truppen auf sehr schwierigem Terrain sehr genossen hätten. Ebenfalls als Teil der Vereinbarung wurde jugoslawischem und serbischem Personal verboten, an Schlüsselpositionen der Grenzen präsent zu bleiben. Dies war ein Indiz dafür, dass dem Kosovo formell keine Unabhängigkeit zugestanden war.

Die Situation war sehr brüchig, als eine Gruppe von 30 russischen gepanzerten Fahrzeugen, frisch mit KFOR an den Seiten bezeichnet, mit 250 Soldaten durch Serbien nach Pristina, dem Flugfeld im Kosovo, fuhren. Glücklicherweise verstand General Mike Jackson, Führer der KFOR-Truppen, der Russisch spricht, die Entscheidung der russischen Truppen nicht als gefährlich, sondern als eine Demonstration von Frustration und Entschlossenheit, dass die russischen Truppen Teil der Vereinbarung seien. SACEUR General Wesley Clark bewegte das dazu, russische Verstärkungen zu erlauben, obwohl die NATO den Luftraum unter totaler Kontrolle hatte.

Diese diametral gegensätzlichen Wege, mit dem russischen Militär umzugehen, drücken sich in Jacksons berühmtem Ausspruch gegenüber SACEUR aus: "Sir, ich werde nicht wegen Ihnen den Dritten Weltkrieg beginnen." Weder Paris, London noch das Pentagon waren bereit, General Clark zu unterstützen.

Georgien
Georgien unterscheidet sich sowohl geographisch als auch politisch und militärisch sehr vom Kosovo. Aber was dort passiert, wurde von den Vorgängen im Kosovo beeinflusst. Präsident George W. Bush und sein Vizepräsident Cheney wollten schon früh Georgien die NATO-Mitgliedschaft anbieten, ohne dabei zu erwägen, dass dies militärische Unterstützung im Fall eines Angriffs auf Georgien seitens NATO bedeuten würde. Letzten Endes war es die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, die in Bukarest im Frühjahr des Jahres 2008 klug und bedacht die Opposition innerhalb der Nato gegen eine frühzeitige Mitgliedschaft anführte und somit klar anerkannte, dass Nato-Mitgliedschaft nicht als ein politisches Mittel verwendet werden kann, um dann als Bluff verworfen zu werden.

Es gab immer die Möglichkeit, dass der georgische Präsident Saakashvili beschließen würde, wie er es bereits einseitig getan hat, "konstitutionelles Recht" in Südossetien wiederherzustellen würde. Wäre Georgien kurz vor einer NATO Aufnahme am 7. August gewesen, als georgische Truppen Südossetien angriffen, wäre dies ein verheerender Schlag für die NATO gewesen, da Russland in georgisches Territorium einfiel. Präsident Sarkozy hatte Recht, als er weder NATO noch die EU anrief, um die territoriale Integrität Georgiens im Rahmen des EU-Waffenstillstands wiederherzustellen. Rückblickend wäre der Versuch, dieser Aufforderung nachzukommen, keine seriöse Politik gewesen.

In den westlichen Demokratien reden unsere Politiker und unsere Presse nur über die russische Invasion und ignorieren dabei, dass Georgien den ersten militärischen Schlag verübte. Sie sollten in Ihren Berichterstattungen daran denken, diese Themen zu verbinden. Erinnerungen sind kurz, und diese Verbindung ist besonders wichtig, wenn Sie in den Medien nicht immer genügend Platz und Zeit haben, um die komplexen Probleme der Georgienkrise zu erläutern.

Es ist weder seriöse Geschichtsschreibung noch realistische Politik, den Südossetien-Konflikt mit den militärischen Interventionen der Sowjetunion in Ungarn (1956) oder in der Tschechoslowakei (1968) zu vergleichen. Es gibt gute Gründe, warum die NATO-Mitgliedschaft nicht an jedes Länder vergeben werden kann, das darum bittet. Erst muss die Basis der Demokratie dieser Länder erprobt werden, die Menschen in den betreffenden Ländern müssen mit großer Mehrheit eine Mitgliedschaft befürworten, und die auswärtige Politik muss stabil und mit den anderen Paktstaaten übereinstimmen. Wenn immer möglich, müssen die Grenzen eines neuen Mitglieds von dessen angrenzenden Staaten akzeptiert werden.

Seit einigen Jahren ist klar, dass es weise ist, zunächst eine EU-Integration von Georgien und der Ukraine zu fördern, bevor eine NATO-Mitgliedschaft angesteuert wird. Die erste Lehrstunde aus der Georgienkrise ist deshalb, die EU-Mitgliedschaftsbestrebungen für die Ukraine und Georgien zu beschleunigen und nicht die NATO-Annäherung voranzutreiben, während die Grenzkonflikte und andere Streitigkeiten noch anhalten

Multiple Pipelines
Die andere zentrale Lehrstunde ist, der EU-Mitgliedschaft für die Türkei eine hohe Priorität zu geben. Die Türkei ist das einzige Land, das der EU wirklich helfen kann, die Gas und Ölversorgung zu verändern. Die Türkei kann nicht nur auf die Ressourcen aus dem Kaspischen Meer zurückgreifen, sondern, wenn sich der Irak stabilisiert, auch von dort Öl und Gas an Europa liefern. Darüber hinaus würde die Türkei auch eine Schlüsselrolle einnehmen, wenn die Streitigkeiten um Irans Nuklearprogramm beendet werden.

Die Türkei muss ein Partner in der Energieversorgungsfrage der EU sein, und sie wird noch wesentlich bereitwilliger dafür sein, sobald es einen genauen Zeitplan für einen EU-Beitritt gibt.

Dies ist kein anti-russisches Statement. Das Energiespektrum auszuweiten ist ein nationales Interesse, für Russland ebenso wie für europäische Staaten. Im Falle Russlands müssen sie ihre Kundschaft erweitern, Europa braucht mehr Anbieter. Russland baut momentan eine Pipeline mit erheblichen japanischen finanziellen Mitteln, um Russlands Öl in den Fernen Osten zu transportieren. Es wird auch eine Gas-Pipeline folgen. Es ist ebenso wahrscheinlich, dass Russland eine Öl-Pipeline nach China bauen wird. Russland plant ebenfalls, Öl und Gas als flüssiges Naturgas per Schiff zu transportieren.

Eine realpolitische Lösung
In unserer heutigen Debatte wurde erörtert, dass "alles möglich ist" und dass dies durchaus "gruselig zu sein scheint". Ja, aber nur, wenn wir die Objektivität verlieren und den Realismus überspringen. Am Ende seiner meisterhaften Studie über den Kalten Krieg zog der Historiker John Lewis Gaddis im Jahr 2005 folgendes Fazit: "Es begann mit einer Rückkehr der Angst und endete in einem Triumph der Hoffnung, eine ungewöhnliche Entwicklung für große historische Umbrüche. Es hätte durchaus auch anders ausfallen können: die Welt verbrachte die letzte Hälfte des 20. Jahrhunderts damit, dass sich ihre tiefsten Ängste nicht bewahrheiten würden. Die mikroskopische Sicht aus einer entfernten Zukunft wird dies bestätigen, denn hätte der Kalte Krieg einen anderen Kurs eingeschlagen, so hätte es vielleicht niemanden mehr gegeben, der hätte zurückschauen können." Wir müssen einen anderen Weg planen.

Ich habe in Russland während der letzten 12 Jahre Geschäfte gemacht. Mit Yukos im Ölgewerbe und auch im Stahlwesen und Eisenbergbau. Nichts, das ich erlebt habe, hat mich überzeugen können, dass ein Kampf der Kulturen oder der nationalen Interessen den Kalten Krieg zurückbringen wird. Es liegt eine schwere Zeit der Diplomatie vor Moskau, Washington und Brüssel, um eine Lösung für die Krise in Südossetien und Abchasien zu finden. Wahrscheinlich müssen wir uns gedulden, bis ein neuer US Präsident gewählt ist, bevor eine endgültige Lösung, basierend auf Realpolitik, gefunden wird. Washington und Moskau müssen realisieren, dass außergewöhnliche, wenn auch sehr unterschiedliche Umstände in Serbien und Georgien zu Invasionen anderer Länder ohne UN-Mandat geführt haben. China und andere zentralasiatische Staaten haben recht, wenn sie Abstand von der russischen Anerkennung Südossetiens und Abchasiens nehmen, bevor die UN die neuen Grenzen ratifiziert hat. Russland muss zudem den Kosovo anerkennen. Es wird keine einfache Lösung sein, aber es ist im internationalen Interesse, dass es im Laufe des Jahres 2009 erreicht wird.

   
   
 
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